In lebendiger Auseinandersetzung gemeinsam Mitmenschlichkeit leben.

Knapp zwei Wochen werden vergangen sein, dass sich die Reichspogromnacht zum 84. Mal jährte, wenn der Oratorienchor Detmold am Sonntag, 27. November, im Detmolder Konzerthaus das Oratorium „A Child of Our Time“ des britischen Komponisten Michael Tippett (1905–1998) zur Aufführung bringt. Ein Oratorium, das die Geschichte jener Nacht des 9. November 1938 und den Ereignissen, die ihr vorausgingen, verarbeitet.

Verzweifelt über die Deportation seiner in Hannover lebenden Eltern ermordet der 17-jährige Jude Herschel Grynszpan den deutschen Botschaftssekretär in Paris. In der Folge überzieht eine nie dagewesene Welle von antisemitischer Gewalt und wüsten Ausschreitungen ganz Deutschland. Dieses schockierende Ereignis und den folgenden Zweiten Weltkrieg vor Augen, fasst Tippett sein Bedürfnis, den Unterdrückten und gesellschaftlich Ausgegrenzten eine Stimme zu geben, in Töne. Mahnung und Appell zugleich, sich für eine auf Freiheit, Toleranz und Frieden ausgerichtete Gesellschaft einzusetzen, bleibt das in den Jahren 1939 bis 1941 entstandene Oratorium jedoch nicht bei der Nacherzählung einer Lebensgeschichte stehen: Tippett knüpft die elementare Fragen nach Schuld und Sühne an, nach Verzweiflung und Hoffnung in einer Zeit, da sich „die Welt auf ihre dunkle Seite drehte“, wie es im ersten Satz des Werkes heißt.

Eindringlich verwebt der Komponist in „A Child of Our Time“ universelle Werte wie Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft zu einem klingenden Ganzen, dessen Aussagen an Aktualität bis heute nichts verloren haben. Großartig, aber auch bedrückend kündet das kraftvolle Werk für Chor, Orchester und vier Solisten von der Verantwortung des Einzelnen und der Rolle der Gesellschaft, es singt von Grausamkeit und Unterdrückung, von der Macht der Masse und von den dunklen und hellen Seiten, die ein jeder Mensch in sich trägt. „Als ich das Werk schrieb“, so Tippett im Jahr 1980, „war ich so in die Geschehnisse der Zeit vertieft, dass ich nie an seine erschreckende prophetische Dimension gedacht habe. Aber es sieht so aus, als ob die zunehmende Gewalt, die den Zwistigkeiten zwischen den Nationen, Rassen, Religionen, sozialen Stellungen, Hautfarben und sogar zwischen Reich und Arm entspringt, gegenwärtig vielleicht die stärkste Bedrohung des sozialen Gefüges der ganzen menschlichen Gesellschaft ist.“

Eingeleitet wird der Abend mit Edward Elgars (1857–1934) Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll aus dem Jahr 1919. Überschattet von persönlichen Sorgen und den grauenhaften Erinnerungen an das Geschehen des Ersten Weltkriegs ist Elgars Opus 85 ein wehmütiges Werk. Das Soloinstrument klagt, weint, sehnt. Elegische Bögen, langgezogene gesangliche Linien wechseln mit wütenden rhythmischen Akzentuierungen – gleichsam Spiegel Elgars eigenen Seelenlebens zu jener Zeit. Mit dem 2003 geborenen Lionel Martin konnte für dieses zu den schönsten seiner Gattung gehörende Konzert ein junger Solist gewonnen werden, der sich bereits durch zahlreiche Preise und Auszeichnungen auf den Konzertpodien in Nah und Fern einen Namen gemacht hat.

In den vokalen Solopartien sind Ann-Kathrin Niemczyk (Sopran), Dorothee Bienert (Mezzosopran), Bernhard Berchtold (Tenor) und Joachim Goltz (Bariton)zu hören. Die Nordwestdeutsche Philharmonie und der Oratorienchor Detmold musizieren unter der Leitung von Florian Ludwig. Das Konzert, das in Kooperation mit der Hochschule für Musik Detmold sowie freundlicher Unterstützung von Dr. Arend Oetker stattfindet, beginnt am Sonntag, 27. November, um 18 Uhr. Eintrittskarten kosten 25 bzw. 20 Euro (Studierende und Schüler: 12,50 bzw. 10 Euro) und sind im Haus der Musik (Tel.: 05231 302078) erhältlich.

Foto: Karen Hansmeier