TH OWL fördert regionalen Diskurs über Echokammern hinweg.

Die Digitalisierung hat uns nicht die Wissensgesellschaft gebracht, sondern die Echokammern in der Gesellschaft weiter verstärkt. So die These von Professor Dr. Josef Löffl, Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Der Historiker ist sich sicher, dass insbesondere regional verwurzelte Hochschulen wie die TH OWL hier als Plattform einen Beitrag dazu leisten können, dass die Gesellschaft wieder über sich selbst diskutiert.

„Wahrnehmung und Diskurs im Kontext der Digitalisierung“ ist derzeit ein Thema, das Professor Dr. Löffl in zahlreichen Vorträgen umtreibt. Als Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog ist er per se mit dieser Fragestellung konfrontiert, und seine Thesen dazu finden bei einem immer größeren Publikum Gehör. Derzeit erhält er Einladungen wie schon lange nicht mehr. Dabei sind die Veranstaltungen, auf denen er diese Vorträge hält, durchaus nicht das Fachgebiet des promovierten Historikers. So wurde er beim 12. AVL- und Energyforum von Automobilisten zum besten Redner gekürt, auch beim Ackerbauforum in Rendsburg ging es in seinem Vortrag „Fortschritt durch Wissenschaft – Akzeptanz durch Technologie“ um die Auswirkungen der digitalen Revolution auf die mediale und gesellschaftliche Wahrnehmung. Gleiches einige Tage später während einer Podiumsdiskussion anlässlich der Messe „Automation“ in Baden-Baden. Hier ging es um das Thema „Wie gelangt KI-Wissen ins Unternehmen?“. „Wissenschaftsdialog spielt hier eine große Rolle“, sagt Löffl, der im Gespräch auch darauf verweist, dass genau diese Fragestellung im neuen Studiengang „Digital Management Solutions“ des IWD eine zentrale Rolle spielt.

Dabei ist es eher ein nachdenklicher Ton, den Professor Dr. Löffl in seinen Vorträgen anschlägt. „Die Digitalisierung ist der größte Einschnitt in der Menschheitsgeschichte der letzten 12.000 Jahre“, ist sich der Historiker sicher. „Wir marginalisieren diese Veränderung regelmäßig, weil wir sie als technischen Fortschritt bezeichnen“, sagt Löffl, der die Digitalisierung als dritten Meilenstein der Menschheit nach der Beherrschung des Feuers und der Sesshaftwerdung sieht.

Dabei ist der Megatrend der Konnektivität, also des ständig mit allen und allem verbunden Seins für den Historiker auch eine moderne Interpretation der Zeit, als Menschen noch als Jäger und Nomaden durch die Gegend zogen und so Kontakte herstellten. „Aus Gründen, die kein Mensch versteht, lassen wir uns dann vor 12.000 Jahren nieder und optimieren im Laufe der folgenden Jahrtausende Staat, Militär, Infrastruktur und Logistik. Es geht dabei immer um Güter, deren Werte wir steigern. Und dann kommt jetzt ein Bruch“, sagt Löffl. „Durch unsere komplette Vernetzung sind nicht mehr Güter von Wert, sondern Informationen.“

Daraus aber hätten sich im Laufe der vergangenen Jahre einige fatale Trugschlüsse ergeben. Zu ihnen gehöre, dass Big Data, also die Korrelation großer Datenmengen, Dinge vorausschaubar machen würde. „In Wahrheit ist aber nichts planbar“, sagt Löffl in Anlehnung an Siegfried Kracauers „Detektivroman“. In dessen philosophischem Traktat erläutert Kracauer bereits in den 20er Jahren, warum die Detektion, also der Einsatz wissenschaftlich-technischer Verfahren, nicht zur Wahrheit führt, sondern immer nur zur Konstruktion von Wahrheitsmodellen durch verifizierbare Erkenntnispunkte.

„Aber das Leben ist nicht planbar, nichts ist wirklich vorhersehbar“, sagt Löffl. Es sei vielmehr so, dass wir dadurch, dass wir sämtliche Lebensbereiche und –facetten digitalisieren immer mehr Unvorhersehbares erkennen. „Der alte Traum der Menschheit nach der Allwissenheit bricht sich in der Digitalisierung. Der unbegrenzte Zugang zu Informationen führt nicht zur Wissensgesellschaft, sondern im Gegenteil zur immer stärken Fragmentierung von Wissen, das sich letztlich in den kommunikativen Echokammern unserer Gesellschaft zeigt“, ist sich Löffl sicher.

Das Problem der medialen Echokammern sei aber noch gravierender. „Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Die aber benötigt für ihren Bestand auch repräsentative Medien. Die aber prägen soziale Medien nicht aus, sondern verstärken vielmehr die bestehenden Echokammern und produzieren immer wieder neue“, schätzt Löffl ein. Das „Hamsterrad der Plattformen aus dem Silicon Valley“ benötige für seinen Betrieb nun einmal nicht Qualitätsjournalismus, sondern Content, der diese Plattformen aufwerte.

Für den Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog entwickelt sich aus diesem Szenario auch eine Aufgabe der Wissenschaft, nämlich der Transfer. In der Wissenschaft gehe es letztlich nicht um Wahrheit, sondern um Diskurs und Beleg. Für ihn sei es daher gerade jetzt, da die Gesellschaft erodiere, wichtig, den wissenschaftlichen Diskurs zu forcieren. Das Problem dabei sei, dass es in den Unternehmen und Institutionen hierfür meist keine adäquaten Gesprächspartner gebe. „Man landet dann meist bei der Marketing-Leitung“, sagt Löffl.

Allerdings habe gerade eine regional stark eingebundene Hochschule wie die TH OWL hier besste Chancen. „Digitalisierung ist hoch individuell und dezentral. Daher muss auch jede Region autark eine Antwort auf ihre Wirkmechanismen bilden. So kann eine regional verwurzelte Hochschule genau die richtige Plattform für einen regionalen Diskurs bilden“, ist sich der Historiker sicher. Das sei auch die Basis der Diskurs-Strategie seines Instituts für Wissenschaftsdialog. „Wir gehen in ganz unterschiedliche Kontexte hinein, in die Landwirtschaft, in den Ukraine-Krieg, und wir bieten hier geschützte Räume, die diesen Diskurs möglich machen. Das Interessante dabei ist, dass egal, wo wir diesen Diskurs anbieten, unsere Adressaten sagen: ‚Wir brauchen genau diesen Diskurs‘ – ganz egal, ob wir auf der Automation in Baden-Baden, dem Energyforum in München oder dem Ackerbau-Forum in Rendsburg auftreten. Und wir können sagen: Genau das kann Euch die TH OWL anbieten“, sagt der Institutsleiter.

Foto: TH OWL