Aktionsbündnis Frieden als Zusammenschluss von freikirchlichen Gemeinden, diakonischen Einrichtungen und dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte engagiert sich in der akuten Ukraine-Hilfe.

So, wie viele andere in Deutschland und darüber hinaus, setzen sich auch Personen mit russlanddeutschem Hintergrund für Menschen in und aus der Ukraine ein. Aus mehreren Institutionen und privaten Initiativen hat sich das Aktionsbündnis Frieden gebildet, das von Beginn der Krise an praktische und diakonische Hilfe leistet – von der Evakuierung, Erstversorgung, Unterbringung bis hin zur humanitären Hilfe in den ukrainischen Kriegsgebieten. An der Schnittstelle der überwiegend freikirchlichen Arbeit und den offiziellen Verwaltungsstellen auf kommunaler, regionaler und landesweiter Ebene hat das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte eine drittmittelgeförderte Stelle auf den Weg gebracht. Diese soll Koordination, Kommunikation und akute Hilfestellungen in der Arbeit für und mit Geflüchteten aus der Ukraine fördern. Die vielen freiwilligen Gastfamilien fangen die Flut der Geflüchteten etwas auf und räumen den Behörden so mehr Zeit ein, um mittel- bis längerfristige Unterkünfte und Hilfsangebote zu organisieren. Bislang sind allein in Lippe über 700 Personen aus der Ukraine bereits vermittelt und untergebracht worden.

Die Not ist groß
Die humanitäre Katastrophe dieses Krieges ist vielen Personen mit russlanddeutschem Hintergrund nicht nur aus der Presse, sondern über persönliche oder kirchliche Netzwerke bekannt und die Betroffenheit ist groß. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn des russischen Einmarsches mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen und mehr als 14.000 getötet worden. Die meisten der Geflüchteten zog es nach Polen, Ungarn, Rumänien, Moldau und in die Slowakei – oft mit wenig mehr als einem Handgepäck ausgerüstet. In Deutschland registrierte die Bundespolizei bis gestern mehr als 120.000 geflohene Menschen aus dem Kriegsgebiet. Millionen von Menschen haben bislang ihr Zuhause verloren. Vor allem in den Großstädten in Nähe der russischen Grenze ist die Zerstörung von Häusern und Wohnungen immens, wie beispielsweise in der Stadt Mariupol, die über 40 Stunden lang unter russischem Beschuss stand. Auch in Charkiw sind viele Stadtviertel und Straßenzüge völlig zerstört. Die Wertvernichtung durch den Krieg wird mittlerweile auf zehn Milliarden Euro geschätzt. Angaben des UN-Nothilfebüros zufolge haben Hunderttausende Menschen zudem durch Kriegsschäden keinen Zugang mehr zu Strom, Gas und Wasser. Insbesondere in der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol herrschen mittlerweile auch hygienisch katastrophale Zustände, meldet das Rote Kreuz.

Die Hilfsbereitschaft ist ebenfalls groß
Über persönliche und kirchliche Verbindungen sind die dramatischen Hilfegesuche auch in Lippe angekommen. Unter dem Motto „Es ist unsere Pflicht dem Frieden zu dienen“ hat sich das Aktionsbündnis Frieden formiert. Es ist ein Zusammenschluss kirchlicher, freikirchlicher und diakonischer Einrichtungen und dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte. Im Rahmen dieses Bündnisses konnte unverzüglich humanitäre Hilfe, sowohl für Binnenflüchtlinge und Bedürftige in der Ukraine als auch für Ukraine-Flüchtlinge in Lippe, geleistet werden. Außerdem wurden Evakuierungen in der Regel schutzbedürftiger Personen, überwiegend Frauen mit minderjährigen Kindern, aber auch Hochschwangerer und chronisch Erkrankter, sowie die Erstversorgung und Unterbringung in Privathäusern initiiert.

Die Hilfsbereitschaft ist immens. Die Personen werden auch nachts abgeholt, in gemachte Zimmer und Betten gelegt. Teilweise ziehen die Gastfamilien selbst in den eigenen Keller und überlassen den ukrainischen Gästen die Schlafzimmer. Für die Ukrainer ist die Situation sehr herausfordernd. Die Ungewissheit über die eigene Zukunft, die Familie, die zum Kampf zurückgelassenen Männer und Väter, die Unsicherheit in der neuen Umgebung sind immens. Ekaterina Dell, die eine der Hauptverantwortlichen für die Koordination der Hilfsaktionen in Detmold sind, beschreibt ihre Erfahrungen der letzten Wochen folgendermaßen: „Gefühlt jede Stunde häuften sich die Anfragen für die Unterkünfte. Mir wurde klar: Das Leid kennt keine Grenzen und Systeme. Es muss schnell reagiert werden.“ Schnelle Koordinationsarbeit war dringend geboten. Gemeinsam erstellten sie eine WhatsApp-Gruppe, durch die Hilfsanfragen und -angebote koordiniert und organisiert werden konnten.

Ekaterina Dell berichtet weiter: „Viele Menschen traten der WhatsApp-Gruppe bei und stellten ihre Wohnungen zur Verfügung. Wir waren von der Hilfsbereitschaft und Offenheit der Menschen deutschlandweit überwältigt. Irgendwann mussten wir einen Schnitt machen und uns nur auf den Kreis Lippe fokussieren. Jeden Tag rollte die Flut aus Fragen, Angeboten und Anfragen auf uns zu.Wir hatten das Gefühl, wir werden überrollt. Wir begannen nach Unterstützung zu suchen. So kamen einige ehrenamtliche Helfer dazu. Heute sind wir ein Team aus 10 Personen. Es wurde eine zentrale Koordinationsstelle gegründet. Jeder bringt sich auf irgendeine Weise ein. Mit vielen Helfern konnten schon um die 350 Menschen in den letzten zwei Wochen im Kreis Lippe untergebracht werden. Uns ist klar, dass das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Uns ist auch klar, dass wir die Welt nicht retten können, doch die Liebe Gottes bewegt uns, Menschen zu helfen und sie zu vereinen. Wenn wir uns öffnen und uns ihm zur Verfügung stellen, dann kommen Dinge ins Rollen, die man selbst nie hätte bewegen können. Jesus Christus sagt: „Ich war ein Fremder und ihr habt mich aufgenommen. Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Diese Worte bewegen uns, Menschen zu helfen.“

Die Evangelische Freikirche Schöne Aussicht stellt bereits in den ersten Tagen der Krise ihre Lagerhallen zur Verfügung, um Hilfsgüter in die Ukraine und für die Gastfamilien zu organisieren. Durch den Kontakt zu kirchlichen Gemeinden und Familien, die geflüchtete Menschen aufgenommen haben, kann gefiltert werden, was jeweils vor Ort benötig. So werden saubere, ordentliche und schon gebügelte Kleidung gesammelt, die sofort genutzt werden kann. Die Arbeit wird meist ehrenamtlich auf Hochtouren geleistet. Inzwischen sind etliche Kleintransporter und ein 40-Tonner-LKW mit Hilfsgütern in Richtung Ukraine gesandt worden. Dabei stand in erster Linie der Versand von Hilfsgütern zur Sofort-Hilfe im Vordergrund. Im zweiten Schritt werden Hilfsgüter, die die geflüchteten Menschen hier vor Ort benötigen, gesammelt und verteilt. Des Weiteren werden auch Geldmittel dringend benötigt, um die Transporte weiter durchzuführen, sowie für die Versorgung der Flüchtlinge hier vor Ort. Parallel werden sowohl Angebote für Begegnungen, Gespräche und Seelsorge organisiert, wie auch Gebetsgruppen.

Für Kornelius Ens, Direktor des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte, gilt: „Dem Frieden zu dienen ist keine Option, sondern Pflicht! Insbesondere in Anbetracht der Repressionserfahrungen von Personen mit russlanddeutschem Hintergrund. Das Museum möchte das Signal der unterschiedlichen Initiativen für die Geflüchteten, insbesondere aus den Kirchen, unterstützen und ein Raum der Versöhnung sein.“ Daher laufen sowohl im Museum wie auch in den kirchlichen Gruppen bereits die Vorbereitungen für eine nachhaltige und längerfristige Friedens- und Versöhnungsarbeit, deren Bedarf bereits jetzt offensichtlich ist. Andy Schiller, der bereits von 2014 bis 2016 in der Flüchtlingsarbeit in Lemgo aktiv war, übernimmt federführend diese Stelle. Schiller: „Es ist für mich ein Privileg einer von vielen Helfern sein zu dürfen, die diese schreckliche Krise etwas leichter machen.“

Dem Engagement von vielen Russlanddeutschen bundesweit widmete das Kulturreferat die aktuelle Folge des Podcasts Steppenkinder. Sprachliche und kulturellen Kompetenzen, Know-how in Fragen von Migration und Integration sowie weite Netzwerke werden Russlanddeutsche zu einem mitentscheidenden Faktor der Willkommenskultur bei den anstehenden Herausforderungen sein. Gemeinsam mit dem Landestheater Detmold veranstaltete Kulturreferent Edwin Warkentin am 3. März eine öffentliche Informationsveranstaltung zu den Hintergründen der aktuellen Fluchtbewegung und den Potenzialen vorhandener Strukturen der freikirchlichen Gemeinden in Detmold und der Region.

Foto: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte