Tagung beschäftigt sich mit gemeinsamen Erfahrungen und Aufarbeitung.

Dieser und weiteren Fragen ging die Tagung „Gestern ‚Die Mitgebrachten‘ – Heute ‚Generation PostOst‘“ am 3. Oktober in Detmold nach. Die Veranstaltung wurde von der Deutschen Gesellschaft e.V., dem Kulturreferat und dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte organisiert und von der Bundesstiftung Aufarbeitung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Nordost-Institut an der Universität Hamburg gefördert.

Gemeinsame Erfahrungen
Das Ende des Kalten Krieges und der Fall der sozialistischen Diktaturen im Osten bildeten den gemeinsamen historischen Kontext für die deutsche Wiedervereinigung und die Aufnahme deutscher Aussiedler aus den Staaten der zerfallenden Sowjetunion. Zwei Prozesse, die unsere Gesellschaft nachhaltig geprägt haben. Wird heute am Tag der Einheit über ein Zusammenwachsen der Nation gesprochen, so ohne den Aspekt der Zuwanderung der Russlanddeutschen. Den vielfältigen gemeinsamen Motiven aus der Perspektive der Nachwendegeneration und der Kindergeneration der Aussiedler widmeten sich die zahlreichen Teilnehmer in Podiumsdiskussionen und Workshops der Tagung.

Begrüßt wurden die Teilnehmer unter anderem von Niels Annen, SPD, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft e.V.

In seinem Eröffnungswort wies Kornelius Ens, Leiter des Museums für russlanddeutsche Geschichte auf viele gemeinsame Erfahrungen von Aussiedlern und Ostdeutschen: Leben in Diktaturen, Systemwechsel, Veränderungen des beruflichen und sozialen Umfelds, ein zum Teil anderes Geschichtsbewusstsein. Diese und weitere prägende Erfahrungen erlebten die Wendekinder aus Ostdeutschland und Osteuropa auf ähnliche Weise wie die Russlanddeutschen. „Mit unserer heutigen Konferenz möchten wir nach gemeinsamen Geschichten suchen – die zu einem ‚Wir‘ beitragen können“, sagte der Museumsdirektor.

Gemeinsame und unterschiedliche Weltbilder der Generationen
Über Herausforderungen der Generation nach der Aussiedlung in der Fremd- und Selbstwahrnehmung referierte der Wiener Historiker Jannis Panagiotidis. Noch in den 1990er Jahren interessierten sich Soziologen und Medien für die sogenannte „mitgebrachte Generation“, eine Altersgruppe von Kindern und Teenagern aus Familien der Russlanddeutschen vor allem aus einer problematisierenden Perspektive: Integrationsverweigerung, Kriminalität, Hoffnungslosigkeit. Heute steht diese Gruppe mitten in der Gesellschaft und verschafft sich Gehör, in dem sie ihre Erfahrungen im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft in Medienprojekten, Podcasts, Romanen und Filmen verarbeitet. Es bilden sich Initiativen unter anderen mit einer Selbstbeschreibung als „PostOst“, die sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft wahrnehmen, aber auch ihre Herkunftsmotive im Sinne einer kulturellen Vielfalt verstanden haben wollen. Das auch in Abgrenzung von der Elterngeneration, die ihre Lebenserfahrungen bereits als Erwachsene in einem anderen gesellschaftlichen System machten. Ähnliche Kollektiverfahrungen machte auch die sogenannte Wendegeneration der Ostdeutschen, von denen die Historikerin Anne Kupke-Neidhardt aus Halle an der Saale in ihrem Vortrag berichtete, die sich für die Initiative „3te Generation Ostdeutschland“ engagierte.

Nach wie vor sind aber die allgemeinen Kenntnisse über die Hintergründe der Aussiedlerzuwanderung in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Kulturreferent Edwin Warkentin resümiert: „Nach der Wiedervereinigung war Deutschland stark mit sich selbst beschäftigt. Es kamen nicht nur Aussiedler, sondern auch Kriegsflüchtlinge vom Balkan sowie Ostdeutsche, die in den Westen zogen. In den gesellschaftlichen Debatten gab es kaum Platz für Aussiedler. Die Russlanddeutschen hatten damals aber auch noch keine Sprache oder Stimme, um auf sich aufmerksam zu machen. Heute werden die Stimmen lauter.“

Foto: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte