Zwischen Messingpolitur und Lebensgeschichten

Der 1. Oktober ist ein sonniger Herbsttag. In der Detmolder Innenstadt versammeln sich sechs Schülerinnen und Schüler der Schülervertretung des Stadtgymnasiums und eine Lehrerin, um die fünf in den Boden eingelassenen Messingplatten in der Fußgängerzone zu polieren. Einzelne Sonnenstrahlen spiegeln sich auf den staubigen Steinen. Schließlich werden ihnen Politur und kleine Stoffstücke in die Hand gedrückt und das Putzen geht los. Während auf dem Boden knieend und vollkommen vertieft die golden glänzenden Steine poliert werden, stößt schließlich auch Joanne Herzberg zur Gruppe dazu. Sie ist der „Anlass“ für dieses Treffen, denn auf den sogenannten „Stolpersteinen“ im Boden stehen die Namen ihrer Familie.

Joannes Erscheinen bleibt bei den Schülerinnen und Schülern natürlich nicht lange unbemerkt und somit wird sich schnell fröhlich mit der US-Amerikanerin unterhalten. Joanne kam vor drei Jahren aus St Louis, Missouri nach Detmold, um den Spuren ihrer Familie auf den Grund zu gehen, wie sie nach dem Putzen der Steine beim gemeinsamen Mittagessen im Café um die Ecke erzählt. Im Laufe des Treffens werden viele traurige, aber auch schöne und lustige Geschichten geteilt. Die Schülerinnen und Schüler stellen Joanne Fragen vom aktuellen Wahlkampf in den USA bis hin zu ihrer Kindheit als „Deutsche“ in den USA in der Nachkriegszeit. Während Joanne davon erzählt, wie ihr Vater bis zum Ende nie hat über den Krieg reden können und dass sie sehr deutsch erzogen wurde (oft betont sie, wie viel Wert ihre Eltern auf anständige Tischmanieren und Höflichkeit gegenüber Erwachsenen in der Erziehung legten), hängen die Schülerinnen und Schüler ihr gebannt an den Lippen. Auch als sie die Geschichte erzählt, wie ihre Urgroßmutter sich zusammen mit ihrer Familie 1942 auf dem Detmolder Marktplatz einfinden musste und dann nach Theresienstadt deportiert wurde, von wo sie nie wieder den Rückweg antrat, hören die Schülerinnen und Schüler gebannt zu. Joannes Vater Fritz, der 1939 mit 17 Jahren durch einen Kindertransport Deutschland verlassen konnte, war der einzige der Familie, der den Holocaust überlebte. Gegen 16 Uhr neigt sich schließlich ein unfassbar aufschlussreicher Tag dem Ende zu. Es wurde viel gelacht, viel erzählt aber vor allem viel nachgedacht. Denn genau das sollte man tun. Immer und immer wieder. Damit so etwas wie damals nie wieder geschieht.
(Johanna Schuster, Q2, Stadtgymnasium Detmold)

Die Schülerinnen und Schüler des Stadtgymnasium beim Polieren der Stolpersteine. Foto: Privat